«Auslöser für die jüngsten Kursabschläge an den weltweiten Aktienmärkten waren schlechte Makrozahlen aus der US-Industrie. » Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner
Aufgrund eines Feiertags ist die amerikanische Börse verspätet in den neuen Monat gestartet, dafür mit umso heftigeren Kursverlusten bei den Technologiewerten. Insbesondere der KI-Sektor und Halbleiteraktien erlitten erhebliche Verluste:
Während NVIDIA 9.5% oder USD 280 Mrd. an Marktkapitalisierung verlor, korrigierte AMD um knapp 8%. Andere Technologie-Werte wie z.B. APPL, MSFT oder GOOG verloren hingegen deutlich weniger.
Auslöser für die Kursabschläge an den weltweiten Aktienmärkten waren schlechte Makrozahlen aus der Industrie, gemessen am Einkaufsmanagerindex ISM, und eine Anfrage der Kartellbehörde bezüglich Marktdominanz von NVDA. Die zunehmende Unsicherheit der Anleger bezieht sich aber noch viel mehr auf den Arbeitsmarktbericht vom August (nach Redaktionsschluss), eine weitergehende Abschwächung ausweisen dürfte. Erste Anzeichen hierfür signalisiert der dürftige Bericht über offene Stellen (JOLTS-Report), der mit 7.70 Mio. offenen Stellen deutlich unter den Erwartungen geblieben und damit auf den niedrigsten Stand seit Januar 2021 gefallen ist. Während ein Anstieg der US-Beschäftigung gemäss der Markterwartungen von 160'000 das «Soft Landing»-Szenario festigen würde und damit positiv für Aktienanlagen wäre, könnte bei einer negativen Überraschung das Rezessions-Szenario an Wahrscheinlichkeit hinzugewinnen.
Hierbei stellt sich die entscheidende Frage, ob die Aussicht auf eine kräftige Reaktion der amerikanischen Notenbank (FED) und damit ausgeprägt fallende Leitzinsen auf die Wachstumssorgen der Anleger allenfalls kompensierend wirken könnte? Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine rasch steigende Arbeitslosenquote die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die US-Wirtschaft zeitverzögert doch noch in eine Rezession abgleitet. Da das FED im Gegensatz zur Europäischen Zentralbank (EZB) oder Schweizerischen Nationalbank (SNB) einen dualen Auftrag hat, der neben der Preisstabilität auch einen ausgewogenen Arbeitsmarkt umfasst, ist im Rezessions-Szenario mit einer schnelleren und ausgeprägteren Reaktion des FED zu rechnen. Wie FED-Präsident Jerome Powell in seiner Rede in Jackson Hole bereits andeutete, setzt das FED nun den Fokus auf den Arbeitsmarkt und weniger auf die Bekämpfung der zeitweise ausufernden Inflationsrate. Entsprechend könnte das FED ihren Leitzins bereits im September um 0.50% statt wie ursprünglich erwartet um 0.25% reduzieren.
Insgesamt halten wir die aufkeimenden Rezessionsängste für übertrieben, welche zudem in der überwiegenden Mehrzahl der Konjunkturindikatoren bisher nicht bestätigt werden. Was sich aber anhand des ISM für die Industrie schon länger abzeichnet, ist die Stagnationsphase des industriellen Sektors. Allerdings ist dieser mit einem Anteil von 12% am Bruttoinlandsprodukt nicht mehr ausschlaggebend für das gesamtwirtschaftliche Wachstum. Entscheidender wird der weitere Verlauf des privaten Konsums sein, der im 2. Quartal um robuste 2.9% angestiegen ist. Mit der Abschwächung des Arbeitsmarktes dürfte zwar auch dieser an Schwung verlieren, wobei es sich hierbei eher um eine Verlangsamung als um einen Abschwung handelt.
Für weitere Entlastung an der Inflationsfront wird der Rückgang des Ölpreises auf unter USD 70 pro Barrel sorgen. Der sinkende Ölpreis ist primär auf die Produktionsausweitung Libyens und die schwache Nachfrage Chinas zurückzuführen. Da der aktuelle Preis etwa 20% unter dem Durchschnittspreis im September 2023 liegt, zeichnen sich negative Basiseffekte bei den Teuerungsraten für September 2024 ab. Damit wird der Spielraum auch für die EZB grösser, ihre Leitzinssenkungen über den September hinaus fortzuführen.
In der taktischen Anlagestrategie halten wir an der Übergewichtung der Aktienanlagen unverändert fest. Da wir nicht mit einer Rezession in den USA rechnen, sollten sich entsprechend auch die Unternehmensgewinne weiterhin positiv entwickeln. Im zweiten Quartal haben die im S&P 500 enthaltenen Unternehmen die Erwartungen klar übertroffen, sodass die Gewinne in diesem Jahr insgesamt um ca. 9% wachsen dürften. Fallende kurz- und langfristige Zinsen wirken sich ausserdem in der Bewertung der risikobehafteten Anlagekategorien Aktien und Unternehmensanleihen ausgesprochen günstig aus.
Obligationen: Untergewichtung; Ausbau Unternehmensanleihen: 5 - 8jährige Laufzeiten bevorzugen, Durationverlängerung
Aktien: Übergewichtung
Währungen: USD/CHF über 0.86 absichern und EUR/CHF über 0.96 absichern
Rohstoffe: Industriemetalle, Energie übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Goldminenaktien attraktiv
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
Transaktionen: Aktien: -; Obligationen: USD 4.203% Roche 2029
Sektoren: Übergewichtung Gesundheit, nicht zyklischer Konsum, Versorger
Matthias Wirz, 06. September 2024