In Europa hat die EZB dagegen ihren Leitzsatz – voraussichtlich ein letztes Mal - von 3.75% auf 4.00% erhöht. Die von einer deutlichen Mehrheit der Ratsmitglieder gefällte Entscheidung wurde mit der höheren Inflationsprognose für die nächsten Jahre begründet und dem Willen, das Inflationsziel von 2% baldmöglichst zu erreichen. Die Leitzinsen befinden sich gemäss EZB nun auf einem Niveau, auf dem sie erheblich zum Rückgang der Inflation beitragen. Allerdings wirkt der Transmissionsmechanismus der (restriktiven) Geldpolitik bereits heute. Das Nullwachstum in der Eurozone seit Herbst 2022 und die inzwischen auch im Dienstleistungssektor laufende Abschwächung signalisieren eindeutig, dass die restriktive Geldpolitik die Realwirtschaft erreicht hat. Deutschland beispielsweise befindet sich mit zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit (leicht) negativem Wirtschaftswachstum bereits heute in einer «technischen» Rezession. Somit läuft die EZB Gefahr, eine europaweite Rezession auszulösen.
Die Obligationen- und Aktienmärkte reagierten positiv auf die oben besprochenen Ereignisse. Dies vor allem deshalb, weil die Notenbanken mit grosser Wahrscheinlichkeit den «Zinsgipfel» nun erreicht haben, wie an der Pressekonferenz von EZB-Präsidentin Christine Lagarde zwischen den Zeilen zu erfahren war.
Nach der äusserst schwachen Performance im letzten Jahr, dominierten 2023 bisher die Technologie-Schwergewichte im Index die Anlagerendite des S&P 500 (SPXT). Diese profitierten von ihrer beherrschenden Marktstellung und der Euphorie um künstliche Intelligenz (KI). Die Differenz zur Wertentwicklung des gleichgewichteten S&P 500 (SPXEWTR) hat sich zuletzt bis auf über 12% ausgeweitet. Nvidia (+212%), Meta (+160%) und Tesla (+124%) haben dieses Jahr allesamt äusserst hohe Kursgewinne erzielt. Aber auch Apple (+36%), Microsoft (+42%), Alphabet (+56%) und Amazon (+72%) konnten im Vergleich zum Nasdaq (+42%) teilweise überdurchschnittlich zulegen. Die Gewinn- und Umsatzentwicklung dieser Gruppe war zuletzt wesentlich besser als die des restlichen Marktes. Dennoch haben sich die Bewertungen massiv erhöht und erscheinen anfällig auf Preiskorrekturen. Im historischen Vergleich ist die Outperformance des SPXT in den letzten 10 Jahren als aussergewöhnlich und als Strukturbruch zu betrachten, weist doch der SPXEWTR langfristig über 20 Jahre eine um 70% höhere Performance aus. Die Outperformance des SPXT dürfte jedoch solange anhalten, wie nicht mit überraschend hohen Inflationsraten und weiter steigenden Zinsen zu rechnen ist. Im Weiteren könnten auch Enttäuschungen beim Gewinnwachstum und mangelnde Fortschritte im Bereich KI die Kurse der «Tech-Giganten» unter Druck bringen.
In der kurzen Frist konnte der klassische Value-Sektor «Energie» im Zuge des deutlich höheren Ölpreises weiter zulegen, insbesondere in den USA. Auslöser hierfür war die OPEC-Prognose, welche von einer Angebotslücke der Öl-Märkte im vierten Quartal von über 3 Mio. Barrel pro Tag - und damit dem grössten Defizit seit 2007 - ausgeht. Ein weiterer Ölpreisanstieg dürfte jedoch wiederum die Inflationssorgen schüren.