Ist der steigende Inflationstrend gebrochen?

Zusammenfassung

Nach den besser als erwarteten Inflationszahlen in den USA setzten die Aktienmärkte ihren Erholungstrend fort, wobei der Weltaktienindex (MSCI World) im August bisher um 2.1% angestiegen ist.

Die Teuerungsrate bildete sich im Juli von 9.1% auf 8.5% zurück, wofür vor allem fallende Energie- und Transportpreise verantwortlich waren. Möglicherweise ist es noch zu früh, den oberen Wendepunkt in der Teuerungsentwicklung zu verkünden, doch deutet einiges darauf hin. Zum einen dürften die Energiepreise bei einer erwarteten Zunahme der Angebotsseite und - infolge der globalen Konjunkturabkühlung - geringeren Nachfrage kaum mehr weiter ansteigen. Gleichzeitig erhöhen sich die Füllstände der Gasspeicher in Europa über Erwarten schnell, sodass eine akute Energiekrise mit Rationierungen im kommenden Winter weniger wahrscheinlich wird. Zum anderen sollten die wieder durchführbaren Weizenexporte aus der Ukraine zu einer Entspannung bei den Nahrungsmittelpreisen führen. Gleichzeitig ist die Kernrate ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise den vierten Monat in Folge gefallen resp. im Juli nicht mehr angestiegen, sodass hier bereits von einer Trendwende gesprochen werden kann.

Aktuelle Situation

Das sich aufhellende Inflationsbild beflügelt die Obligationenmärkte, auf welchen sich die nominalen Renditen aufgrund fallender Inflationserwartungen zurückgebildet haben. Diese sind seit dem Höchststand Mitte Juni von 2.80% auf 2.45% gesunken, womit der Markt weiterhin damit rechnet, dass der seit Mitte 2021 andauernde Teuerungsschub grösstenteils vorübergehender Natur ist. Das tiefere Renditeniveau wiederum hat einen positiven Einfluss auf die zinssensitiven Wachstumstitel wie sie im Technologieindex Nasdaq zu finden sind. Dieser hat die Kursverluste, welche Mitte Juni noch 32% erreichten, mittlerweile fast zur Hälfte wieder aufgeholt.

Zwar sind die Hoffnungen für einen grundsätzlichen Stimmungswandel bei der amerikanischen Notenbank (FED) angesichts der bestehenden Breite des Inflationsdrucks verfrüht. Die am Geldmarkt eingepreisten Erwartungen, dass die FED ab dem 2. Quartal 2023 bereits beginnen könnte, die Leitzinsen wieder zu senken, sind wohl übertrieben. Aber für eine Stimmungsaufhellung an den Aktienbörsen reicht offensichtlich bereits die gestiegene Wahrscheinlichkeit, dass das FED den Leitzins nur in den neutralen (ca. 3.5% - 4%) und nicht in den restriktiven Bereich (> 4%) erhöhen muss, um die Teuerung wieder in den Zielbereich von 2%- 2.5% zu drücken.

Insgesamt dürften die risikobehafteten Anlagekategorien von der Entspannung an der Inflationsfront profitieren, was sich bereits in fallenden Volatilitäten und sinkenden Kreditrisikoprämien (Credit Spreads) bei hochverzinslichen Anleihen manifestiert. Die Volatilität des S&P 500 sank diese Woche erstmals seit Anfang April wieder unter 20%, und die Credit Spreads sanken von hohen 6.2% auf 4.7%.

Die Umfragen für die italienischen Wahlen am 25. September zeigen für die Sozialisten und die rechtsnationalen Brüder Italiens (BI) ein Kopf-an-Kopf Rennen (um 23.5%). Dennoch dürfte das rechte Wahlbündnis aus BI, Lega und Forza Italia aufgrund des Wahlsystems eine klare Mehrheit im Parlament erzielen. Die italienischen Staatsanleihen scheinen aufgrund der Zusage des rechten Bündnisses zum Euro und stabilen Staatsfinanzen, sowie den jederzeit wieder möglichen Käufen der Europäischen Zentralbank (EZB) mittels «Fragmentierungsprogramm» gut verankert.

Unsere Empfehlung

Gemäss unserer Einschätzung haben die Aktienmärkte weiteres Aufwärtspotential, begründet in erneut tieferen mittel- und langfristigen Zinsen, bisher überraschend robusten Gewinnausweisen der Unternehmen und abnehmender Risikoaversion der Anleger. Zudem geraten insbesondere private Anleger, welche ihre Aktienquote im 1. Halbjahr massiv reduzierten, zunehmend unter «Anlagedruck», je länger die Aktienmarkterholung andauert. Demzufolge dürften prozyklisches Anlegerverhalten den Märkten zusätzlichen Schub verleihen. Weiterhin raten wir zu einer Übergewichtung defensiver Aktienmärkte mit hohen Gewichtungen in konjunkturunabhängigen Sektoren, wie sie die USA und die Schweiz ausweisen.

Taktische Positionierung

Obligationen: Untergewichtung; mittlere Laufzeiten bevorzugen, Unternehmensanleihen übergewichten
Aktien: Übergewichtung; Schweiz, USA und UK übergewichten; Japan neutral gewichten; Schwellenländer und Europa untergewichten
Währungen: USD/CHF über 0.95 teilweise absichern und EUR/CHF unter 1.03 weniger absichern
Rohstoffe: Industriemetalle übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Silber und Platin neutral
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
Transaktionen: Aktien: - ; Obligationen: -
Sektoren: Übergewichtung Gesundheit, nicht zyklischer Konsum, Versorger, Technologie Untergewichtung Industrie, zyklischer Konsum
Themen: Basismetalle und Energie

12.08.2022 / Matthias Wirz