Leitzinssenkungen der Kanadischen und Europäischen Zentralbank

  • Der Weg zu weiteren Leitzinssenkungen könnte flacher verlaufen als in früheren Zyklen, da grosse exogene Schocks bisher ausgeblieben sind.
  • Der US-Arbeitsmarkbericht für Mai lieferte nochmals eine über Erwarten hohe Anzahl neuer Stellen und einen überdurchschnittlichen Anstieg der Stundenlöhne.
  • Wir gehen unverändert von einer Konsolidierungsphase an den Aktienmärkten aus. Allerdings könnte diese aufgrund neu aufkeimenden Zinssenkungshoffnungen weniger lange anhalten als ursprünglich gedacht.
Matthias Wirz
«Die Bank of Canada hat als erstes der G7-Länder den Zinssenkungszyklus mit einer Reduktion um 0.25% von 5.0% auf 4.75% eingeläutet.» Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner

Die Rallye an der Technologiebörse Nasdaq hat sich in der Berichtswoche mit einem neuen Allzeithoch fortgesetzt, angetrieben durch Nvidia, welche ein Plus von 10.4% verzeichnete und inzwischen eine Marktkapitalisierung von USD 3'000 Mrd. erreicht. Damit ist NVDA in kürzester Zeit beinahe gleich wertvoll geworden wie Apple, wobei beide Unternehmen in der Marktkapitalisierung nur noch knapp hinter Microsoft liegen.  


Aktuelle Situation

Die Mischung aus einer sich abschwächenden amerikanischen Wirtschaft, sinkenden Inflationserwartungen und die Aussicht auf Leitzinssenkungen durch das FED treiben die Anleihe- und Aktienmärkte weiter an. Dieses sogenannte «Soft Landing-Szenario» - das eine mögliche Rezession ausblendet - führte in der Vergangenheit fast immer zu einem positiven Kursverlauf der risikotragenden Anlagekategorien, da der Risikoappetit der Anleger in solchen Phasen deutlich zunimmt.

Aktuelle Konjunkturindikatoren unterstützen in hohem Masse das «Soft Landing-Szenario» der Marktteilnehmer. Der US-Einkaufsmanagerindex für Dienstleistungen (ISM-D) zeigte im Mai einen kräftigen Anstieg von 49.4 auf 53.8, wobei der Auftragseingang stark zunahm. Der ISM-D legte damit auf den höchsten Wert seit August 2023 zu und steht damit in eklatantem Gegensatz zum ISM für die Industrie (ISM-I). Dieser notiert seit November 2022 immerzu unter dem Schwellenwert von 50 (Ausnahme 03/24) und daher im rezessiven Bereich. Da der Industriesektor jedoch nur noch einen Anteil von 19% an der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) erreicht, sollte der viel bedeutungsvollere Dienstleistungssektor die US-Wirtschaft im positiven Wachstumsbereich halten können.

Dies gilt auch für den Fall, dass sich der Arbeitsmarkt weiter abkühlt, wie die Abnahme der der offenen Stellen im April auf 8.06 Millionen und damit das niedrigste Niveau seit Februar 2021 andeutet. Dadurch liegt das Verhältnis zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen liegt bei 1.24, verglichen mit 1.93 Ende 2022. Folglich dürfte der Lohndruck in den kommenden Monaten stetig nachlassen, ohne dass eine spürbare Abnahme der privaten Konsumtätigkeit eintritt. Der Arbeitsmarkbericht für Mai lieferte hingegen nochmals eine über Erwarten hohe Anzahl neuer Stellen (272'000 vs. 180'000) und einen überdurchschnittlichen Anstieg der Stundenlöhne. 

Die Bank of Canada (BOC) hat erwartungsgemäss als erstes der G7-Länder den Zinssenkungszyklus mit einer Reduktion um 0.25% von 5.0% auf 4.75% eingeläutet und kündete trotz der Betonung der Datenabhängigkeit weitere Lockerungsschritte an. Kurz darauf folgte die Europäische Zentralbank (EZB), welche ebenfalls wie erwartet ihren Leitzins von 4% auf 3.75% gesenkt hat. Auch die EZB stellt die Datenabhängigkeit beim künftigen Zinspfad in den Vordergrund, wobei sich Präsidentin Christine Lagarde in ihren Äusserungen an der Pressekonferenz aufgrund des anhaltend hohen „binnenwirtschaftlichen Preisdrucks angesichts des kräftigen Lohnwachstums“ eher zurückhaltend gab. Dies ist ein Indiz, dass die EZB in den kommenden Monaten einen nachlassenden Lohndruck und klaren Rückgang der Teuerung im Dienstleistungssektor, die im Mai auf hohe 4.1% zulegte, feststellen muss, um eine erneute Zinssenkung im September zu rechtfertigen.

Darüber hinaus dürfte der Weg zu weiteren Leitzinssenkungen möglicherweise flacher verlaufen als in früheren Phasen, da grosse exogene Schocks, wie sie in den letzten 20 Jahren mehrmals eintrafen, bisher ausgeblieben sind. Damals sorgten beispielsweise das Platzen der Internet-Blase und der Terroranschlag 09/11, oder die grosse Finanzkrise 2008/09 und die Eurokrise 2010/11 für eine schnelle geldpolitische Reaktion der Zentralbanken.    

Auf dem Rohstoffmarkt ist der Erdölpreis im Nachgang des OPEC+ Treffens am letzten Wochenende deutlich gesunken und notiert mit USD 77 auf dem niedrigsten Niveau seit Anfang Januar. Diese Entwicklung dämpft die Inflationserwartungen und bietet dem Obligationenmarkt Unterstützung.


Unsere Empfehlung

Wir gehen unverändert von einer Konsolidierungsphase an den Aktienmärkten aus. Allerdings könnte diese aufgrund zuletzt fallenden Inflationserwartungen und entsprechend neu aufkeimenden Zinssenkungshoffnungen weniger lange anhalten als ursprünglich gedacht. Wir haben die Aktienquote in den gemischten Portfolios in den letzten Wochen zwar reduziert, bleiben aber insgesamt noch leicht übergewichtet, vor allem im attraktiv bewerteten Schweizer Aktienmarkt. 

 

Taktische Positionierung

Obligationen: Untergewichtung; kurze und mittlere Laufzeiten bevorzugen, Unternehmensanleihen übergewichten
Aktien: Abbau Übergewichtung 
Währungen: USD/CHF über 0.88 absichern und EUR/CHF über 0.96 absichern
Rohstoffe: Industriemetalle, Energie übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Silber und Platin neutral
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
TransaktionenAktien:Obligationen: Kauf 1.6% Novartis 2027 
Sektoren: Übergewichtung Gesundheit, nicht zyklischer Konsum
Themen: Basis- und Edelmetalle, Energie

Matthias Wirz, 07. Juni 2024