Der Messeglöckner

Interview mit Franz Baur

Foto: Dominik Plüss

Der zeremonielle Akt, der jeweils am ersten Samstag vor dem 30. Oktober stattfindet, geht auf einen schon über ein halbes Jahrtausend dauernden Brauchtum zurück:

Das Einläuten der Basler Herbstmesse auf dem Turm der Martinskirche durch den Messeglöckner. Im nachfolgenden Interview mit Franz Baur, welcher das Amt nach 33 Jahren an seinen Nachfolger abgegeben hat, erfahren Sie Spannendes und Wissenswertes zu diesem Brauchtum.

Herr Baur, wie sind Sie zu dieser Ehre gekommen?

Das ist eine wunderbare Geschichte. Ich hatte das Glück und bin dankbar dafür, dass ich während 31 Jahren an schönster Lage, auf dem Münsterplatz, Primarschulunterricht erteilen durfte. In dieser Eigenschaft besuchte ich mit meinen Schülerinnen und Schülern im damaligen Fach „Heimatkunde“ stets das Einläuten der Herbstmesse. Nach einigen Jahren meinte der damalige Messeglöckner Alfred Röschard: „Sie kommen – so glaube ich – jedes Jahr.“

Nach der Herbstmesse 1987 fragte er mich, ob ich ihm beim Einläuten des neuen Jahres helfen würde. Spontan sagte ich zu. Am Silversterabend stiegen wir die Treppen hoch und läuteten von Mitternacht bis 00.15 Uhr das neue Jahr ein. Nachher lud er mich und meine Familie noch zu sich nach Hause am Rheinsprung ein. Bald machte er mit mir „Duzis“ und wenig später erhob er erneut das Glas mit kühlem Weisswein und sprach: „Lieber Franz, in diesem Jahr, das wir gerade zusammen eingeläutet haben, werde ich zum 40. und letzten Mal die Herbstmesse einläuten. Willst du mein Nachfolger werden?“ Was für ein Moment! Neujahrsnacht! Kurz vor ein Uhr morgens! Draussen kalt und einige wirbelnde Schneeflocken! Hier drinnen warm und diese Anfrage! Nach kurzem Zögern antwortete ich ihm: „Wenn das dein Wunsch ist, so verspreche ich dir, dass ich in den nächsten Jahren die Herbstmesse in deinem Sinn und Geist ein- und ausläuten werde.“ Und so kam es. Alfred Röschard läutete noch einmal die Herbstmesse ein und aus.

Und ein Jahr später, 1989, hatte ich meine Première.

Können Sie uns den Ablauf des "Glögglilüüte" beschreiben? Und auf was muss der Glöckner achten?

Der Ablauf ist seit Jahrzehnten der gleiche. Am letzten Samstag vor dem 30. Oktober öffnet der Messeglöckner um 11.30 Uhr die Tür zur Martinskirche und steigt mit einigen Gästen in die Turmstube hinauf. Einige Minuten vor zwölf Uhr erhält er vom Präsidenten des Vereins Baukult (einst Freiwillige Basler Denkmalpflege) einen linken schwarzen, wollenen Fingerhandschuh. Diesen zeigt er der unten wartenden Menge und bläst dazu in ein altes kleines Horn. Dies zum Zeichen, dass alle wissen, dass der alte „Handschuh“-Brauch wieder stattgefunden hat. Um zwölf Uhr läuten der Glöckner und sein Assistent die beiden Messglöcklein eine Viertelstunde lang. Dabei müssen beide achten, dass sie 15 Minuten lang im Rhythmus bleiben, denn die Glöcklein werden – und das muss in der heutigen computerisierten Zeit stets betont werden - von Hand mit den Seilen geläutet.

Waren Sie auch mal verspätet beim "Lüüte"?

Zum Glück habe ich mich in all den Jahren nie verspätet. Lieber war ich bereits eine halbe Stunde zu früh am Turm. Und dabei konnte ich erst noch all jene Leute orientieren, die meinten, das Messe-Einläuten findet um 11 Uhr statt.

Was faszinierte Sie am meisten bei dieser Tätigkeit?

Die Faszination des Messe-Einläuten liegt darin, dass der Glöckner eine sehr alte Tradition weiterführen darf, dass diese einem bewährten Ritual unterstellt ist, dass er die Person ist, die das Zeichen zur Eröffnung der Herbstmesse geben darf und dass er Tausenden Baslerinnen und Baslern damit eine Freude bereiten kann. Faszinierend ist auch die Tatsache, dass der Messeglöckner den zweiten Handschuh erst vor dem Ausläuten zwei Wochen später zu gleicher Zeit (Samstag 12 Uhr) bekommt. In bester Erinnerung sind mir auch jene Augenblicke, an denen Emil oder ein anderes Mal der Fritschivater aus Luzern am Seil mitgezogen haben.

Gibt es Erlebnisse, welche unvergessen bleiben?

Ich könnte Dutzende Erlebnisse aufzählen. Am liebsten sind mir aber in der Turmstube die Kinder mit ihren leuchtenden Augen, die beim Stundenschlag fast andächtig mit mir auf zwölf zählen. Denn sie wissen, dass auf „zwölf“ die beiden Messglöcklein bimmeln werden und dass dann die Herbstmesse beginnt. Ein spannungsvoller Moment wie vor dem Vierischlag am Morgenstreich. Oder am Vogel Gryff vor dem ersten Böllerschuss.

Welche Tipps haben Sie für Ihren Nachfolger?

Meinem Nachfolger muss ich keine Tipps geben. Er war ja manche Jahre mein Assistent und kennt das Prozedere. Er wird diese ehrenvolle Aufgabe bestimmt bestens lösen. Und sollte er einmal ein Problemchen haben, so wird er mich kontaktieren. Wir kennen uns bestens…..

Nicole Biri, 09. Oktober 2023