Soft Landing-Szenario intakt

  • Die stark expansive Fiskalpolitik der Regierung Biden kompensiert mindestens zu einem Teil die negative Wirkung der restriktiven Geldpolitik auf das Wirtschaftswachstum.
  • Trotz steigender Unternehmensgewinne erreichen die Bewertungen besonders in den USA wiederholt historisch hohe Niveaus, welche grundsätzlich nur bei sinkenden Zinsen zu rechtfertigen sind.
  • Wir haben folglich die Übergewichtung der ausländischen Aktienquote über den Abbau des US-Anteils reduziert.
Matthias Wirz
«Das «Soft Landing-Szenario» verzeichnet weiterhin die höchste Eintretenswahrscheinlichkeit. » Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner

Die Aktienmärkte haben nach der leichten Korrektur im April in den letzten 10 Handelstagen wieder Fahrt aufgenommen. Auslöser für die freundlichere Stimmung an den Finanzmärkten waren die Absage des amerikanischen Notenbankchefs Jerome Powell an erneute Leitzinserhöhungen, der sich langsam abkühlende Arbeitsmarkt sowie die jüngsten Inflationszahlen für den Monat April.


Aktuelle Situation

Hierbei sank die Jahresrate von 3.5% auf 3.4%, während sich die Monatsrate von 0.4% auf 0.3% zurückbildete. Die Kernrate ohne die zyklischen Energie- und Nahrungsmittelpreise fiel zwar desgleichen von 3.8% auf 3.6%, doch das Niveau ist für das FED noch immer deutlich zu hoch, um zeitnah einen ersten Zinssenkungsschritt einleiten zu können. Zumindest scheint in den USA der seit Anfang Jahr steigende Teuerungstrend gebrochen, sodass die Zuversicht der Märkte auf sinkende Leitzinsen ab September wieder zunimmt.

Ferner reagierten die Aktien- und Anleihemärkte positiv auf die im April überraschend abflauenden Einzelhandelsumsätze und die Abwärtsrevision der Vormonatsdaten. Damit zeichnet sich ab, dass sich die bereits seit längerem erwartete Konjunkturabschwächung in den USA konkretisiert. Im historischen Vergleich folgt üblicherweise nach Bildung einer inversen Zinskurve, ausgelöst durch rasch steigende Leitzinsen des FED, mit einer Verzögerung von 12-18 Monaten eine Rezession. Nach wie vor sind sich die Ökonomen nicht über die Gründe einig, warum diese bisher ausgeblieben ist. Mögliche Hypothesen finden sich im ausgesprochen soliden Arbeitsmarkt, der bisher kaum Schwächen zeigt und daher zusammen mit dem - trotz hoher Hypothekarzinsen - relativ stabilen Häusermarkt den privaten Konsum antreibt. Ein weiterer Erklärungsansatz findet sich in der stark expansiven Fiskalpolitik der Regierung Biden, welche mit enorm hohen Ausgaben für Infrastrukturprojekte unter anderem zugunsten des Klimaschutzes und der Gesundheitskosten (vgl. Inflation Reduction Act und Chips Act, 2022) das Budgetdefizit auf einer nicht nachhaltigen Höhe von über 6% der jährlichen Wirtschaftsleitung (BIP) hält. Damit wird mindestens ein Teil der negativen Wirkung der restriktiven Geldpolitik auf das Wirtschaftswachstum kompensiert. Da der Arbeitsmarkt ein nachhinkender Konjunkturindikator ist, dürfte in der Kausalkette an erster Stelle die expansive Fiskalpolitik für robustes Wirtschafswachstum sorgen und dadurch den Haupttreiber für den teilweise überhitzten Arbeitsmarkt bilden. Dieser wird ausserdem durch - nicht nur in den USA, sondern auch in Europa - günstige demografische Effekte positiv beeinflusst, indem die Generation der «Baby-Boomers» zunehmend in Rente geht und dadurch das Arbeitskräfteangebot reduziert wird.

Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass der laufende Konjunkturabschwung in den USA gegen Ende Jahr in eine Rezession abfällt. Allerdings gibt es dafür zurzeit keine Anzeichen, sodass das «Soft Landing-Szenario» weiterhin die höchste Eintretens-wahrscheinlichkeit aufweist. Dafür spricht auch, dass in einem Wahljahr die aktuelle Regierung Biden alles daransetzen wird, dass Vollbeschäftigung herrscht und sich die Konsumentenstimmung weiter verbessert. Erst die nächste Regierung muss in den folgenden Jahren das übermässig hohe Budgetdefizit und die dadurch fulminant steigende Staatsverschuldung, welche bereits deutlich über 100% des BIP erreicht, mit Hilfe von einschneidenden Sparmassnahmen und Steuererhöhungen wieder auf ein normales Mass zurückschrauben. Dieses schwierige Unterfangen dürfte dannzumal einfacher gelingen, wenn das FED die Leitzinsen merklich senken wird.

In Europa scheint die konjunkturelle Erholung an Dynamik zu gewinnen, wie die Industrieproduktion in der Eurozone mit einem Anstieg von 0.6% im März dokumentiert. Allerdings ist das Ausgangsniveau sehr niedrig und die Trendwende muss in den nächsten Monaten erst noch bestätigt werden.


Unsere Empfehlung

Die Kurserholung an den Aktienmärkten hat inzwischen weltweit erneut zu Allzeit-Höchstständen geführt. Trotz steigender Unternehmensgewinne erreichen die Bewertungen (gemessen am P/E-Ratio) besonders in den USA wiederholt historisch hohe Niveaus, welche grundsätzlich nur bei sinkenden Zinsen zu rechtfertigen sind. Entsprechend haben wir die Übergewichtung der ausländischen Aktienquote über den Abbau des US-Anteils reduziert (Rebalancing). Bisher halten wir jedoch unverändert an der leichten Übergewichtung des schweizerischen Aktienmarkts fest, da dieser ein hohes Gewicht an konjunkturunabhängigen Titeln ausweist (Novartis, Roche und Nestlé). Zudem verzeichnen die genannten Unternehmen sowohl gegenüber der Konkurrenz als auch im historischen Vergleich einen übermässigen Abschlag.

Taktische Positionierung

Obligationen: Untergewichtung; kurze und mittlere Laufzeiten bevorzugen, Unternehmensanleihen übergewichten
Aktien: Abbau Übergewichtung 
Währungen: USD/CHF über 0.88 absichern und EUR/CHF über 0.96 absichern
Rohstoffe: Industriemetalle, Energie übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Silber und Platin neutral
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
TransaktionenAktien: Verkauf EQQQ, CSSPX; Obligationen: 2.135% UBS 2029                 
Sektoren: Übergewichtung Gesundheit, nicht zyklischer Konsum
Themen: Basis- und Edelmetalle, Energie

Matthias Wirz, 17. Mai 2024