Widersprüchliche Konjunktursignale aus den USA

  • Das Prognosemodell des Atlanta FED weist mit zurzeit 3.5% weiterhin eine robuste wirtschaftliche Aktivität aus.
  • Hingegen notiert der aufgrund seiner langen Datenreihe stark beachtete PMI (nach ISM) seit letztem September stetig unter 50 und damit im kontraktiven Bereich.
  • Infolge der teilweise sehr hohen Bewertungen an den Aktienmärkten könnte bereits eine geringfügige Änderung im Szenario, indem die Teuerung hoch bleibt und die Leitzinsen daher nicht gesenkt werden, zu einer Korrektur führen.
Matthias Wirz
«Die Konjunkturdaten fallen in den USA, gemessen am Citigroup Surprise Index, mehrheitlich unter den Erwartungen aus.» Matthias Wirz, Leiter Anlagestrategie und Vermögensverwaltung, Partner

In dieser Woche berichtete Nvidia als letzter der grossen Technologiekonzerne über den Geschäftsgang im ersten Quartal und übertraf dabei selbst die kühnsten Erwartungen der Analysten bezüglich Gewinn und Umsatz. Der Chip-Hersteller, der vom «Hype» um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) besonders stark profitiert, erhöhte gleichzeitig die Prognosen für das Gesamtjahr. Die NVDA-Aktie legte darauf um 9% zu und notierte erstmals über USD 1'000. Davon profitierte der gesamte Technologie-Sektor, sodass der Nasdaq- und S&P 500 erneut Allzeit-Höchststände erklommen.


Aktuelle Situation

Nicht einmal das eher restriktive Protokoll der letzten Sitzung des Offenmarktkomitees (FOMC) der amerikanischen Notenbank (FED) konnte die Märkte bremsen. Dabei kristallisierte sich heraus, dass die Leitzinsen möglicherweise deutlich länger als ursprünglich gedacht auf dem gegenwärtigen Niveau von 5.5% verharren werden, um die hartnäckig hohe Inflationsrate von 3.4% auf das Ziel des FED von rund 2% zu drücken. Demzufolge wird das Schlagwort „Higher for longer“ noch länger Bestand haben. Mehrere FOMC-Mitglieder bezweifeln demzufolge, dass die Geldpolitik tatsächlich genügend restriktiv ist, wie es FED-Chef Jerome Powell an der Pressekonferenz nach der letzten Sitzung formulierte. Nichtsdestotrotz erwarten die Geld- und Anleihemärkte eine erste Leitzinssenkung bereits im September, gefolgt von einer zweiten im Dezember. 

Derweil fallen die Konjunkturdaten in den USA, gemessen am Citigroup Surprise Index, mehrheitlich unter den Erwartungen aus. Dennoch signalisiert das Prognosemodell des Atlanta FED mit zurzeit 3.5% weiterhin eine robuste wirtschaftliche Aktivität, welche durch den Anstieg des Einkaufsmanagerindex in der Industrie (nach S&P) im Mai von 50.0 auf 50.9 unterstrichen wird. Hingegen notiert der aufgrund seiner langen Datenreihe mehr beachtete PMI nach ISM seit letztem September stetig unter 50 und damit im kontraktiven Bereich. Freilich beträgt der Anteil der Industrie am gesamten BIP in den USA nur noch rund 12% und ist daher möglicherweise nicht mehr ein geeigneter Konjunkturindikator. Zum anderen könnten die Investitionen in KI, berücksichtigt als «Intellectual Property» und «Software Investment» in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (BIP), unterschätzt werden. Dieser Erklärungsansatz könnte neben der überaus expansiven Fiskalpolitik ein weiterer Grund dafür sein, dass die USA trotz zweijähriger restriktiver Geldpolitik des FED und inverser Zinsstrukturkurve entgegen dem historischen Verlauf bisher nicht in eine Rezession abgeglitten ist.

Auch in Europa bildet sich die Teuerungsrate nur gemächlich zurück, wie zum Beispiel in England, wo die Kernrate von 4.2% auf 3.9% weniger stark sank als erwartet. Insbesondere der Preisauftrieb bei Dienstleistungen erweist sich mit 5.9% als beharrlich, ein Trend, der auch in vielen anderen Ländern sichtbar ist. Damit dürfte die Bank of England (BOE) an der kommenden Sitzung am 20. Juni keine Zinssenkung vornehmen. Demgegenüber bekräftigte EZB-Präsidentin Lagarde, dass die Teuerung unter Kontrolle ist und die EZB deshalb im Juni beginnen wird, ihren Leitzins zu senken. Bereits im September erwartet der Geldmarkt einen zweiten Zinsschritt. 

Die weltweit fortwährend über den historischen Mittelwerten verharrenden Inflationsraten stützen die These, dass sich die Teuerung in den Industriestaaten nicht mehr nachhaltig auf das Vor-Pandemieniveau von 1.5%-2.0% zurückbilden wird. Folgende Argumente werden hierfür genannt: zum einen die Demografie, welche den Produktionsfaktor Arbeit langfristig verteuert, zum andern Handelskonflikte und die De-Globalisierung, welche inflationäre Impulse auslösen, sowie die zunehmende Knappheit an Energie- und Metallrohstoffen im Hinblick auf die Energiewende, wodurch der Produktionsfaktor Energie teurer wird.

 


Unsere Empfehlung

Diese langfristigen Szenarien mögen durchaus ihre Berechtigung haben, werden jedoch durch den kurzfristigen Konjunkturzyklus in den USA überlagert. Dieser befindet sich in der Phase der Abschwächung, die nach den aktuell verfügbaren Daten jedoch nicht in eine Rezession münden sollte. Dieses sogenannte «Soft Landing-Szenario» begünstigt die Anleihe- und Aktienmärkte, da sich hierbei Inflationsraten und Zinsen normalerweise zurückbilden und die Gewinnentwicklung der Unternehmen robust bleibt. Angesichts der teilweise sehr hohen Bewertungen an den Aktienmärkten könnte bereits eine geringfügige Änderung im Szenario, indem wie oben beschrieben die Teuerung hoch bleibt und die Leitzinsen daher nicht gesenkt oder im «Worst-Case-Szenario» sogar erneut erhöht werden, zu einer Korrektur führen.

Entsprechend haben wir - wie bereits in den letzten zwei Wochenberichten beschrieben - die Übergewichtung der ausländischen Aktienquote deutlich reduziert. An der geringfügigen Übergewichtung des schweizerischen Aktienmarkts wird aufgrund seiner defensiven Struktur vorerst noch festgehalten.  

Taktische Positionierung

Obligationen: Untergewichtung; kurze und mittlere Laufzeiten bevorzugen, Unternehmensanleihen übergewichten
Aktien: Abbau Übergewichtung 
Währungen: USD/CHF über 0.88 absichern und EUR/CHF über 0.96 absichern
Rohstoffe: Industriemetalle, Energie übergewichten
Edelmetalle: Gold übergewichten; Silber und Platin neutral
Immobilien: Übergewichtung (Anlagestiftungen, Immobilienfonds)
TransaktionenAktien: Verkauf LOGN; Obligationen: 2.28% Mediobanca 2029           
Sektoren: Übergewichtung Gesundheit, nicht zyklischer Konsum
Themen: Basis- und Edelmetalle, Energie

Matthias Wirz, 24. Mai 2024